Jens, Du bist Global Director, Digital Marketing bei Mundipharma International in Basel. Das hört sich gar nicht so sehr nach Kommunikation und Marketing an… Die Aufgabe hat schon eine Menge mit Kommunikation zu tun, denn am Ende geht es um die Digitalisierung von Marketing, Kommunikation und Sales – also im Prinzip um alles. was mit dem Kunden direkt zu tun hat. Wir arbeiten immer stärker abteilungsübergreifend an der Weiterentwicklung der “Customer Journey”. Der Vergleich der Nutzung digitaler Tools bei Ärzten und Patienten ist spannend: 70 Prozent der Ärzte sind „digital Natives“, das heißt sie sind mit digitalen Tools während ihrer Ausbildung quasi aufgewachsen. Bei Patienten hat sich die Nutzung digitaler Tools noch nicht im gleichen Maße durchgesetzt. Das ist eine Herausforderung für die Pharmaindustrie, die in dem Bereich aber auch von der Konsumgüterindustrie lernt, aus der ich komme. Ich beobachte, dass ich meine Erfahrung und Kenntnisse aus der Konsumgüterindustrie als „transferable Skills“ gut einbringen kann und noch etwas dazulerne. Das ist mir auch wichtig. Du bist Teil des Management Boards. Ist der zeitgemäße Kommunikator vor allem Manager? Ich denke, dass die Kommunikation im Leadership verankert sein muss. Es geht eben nicht nur darum, das Unternehmen zu erklären, sondern es auch zu gestalten. Vor allem in der heutigen Zeit, in der die Komplexität immer weiter steigt, ist Kommunikation in meinen Augen vor allem eine Managementaufgabe. Vor 15 Jahren habe ich in meinem Volontariat gelernt, wie man in einem Change-Management Prozess einem Unternehmen hilft, sich vor, während und nach der Veränderung zu stabilisieren. Diese Zeiten sind vorbei. Heute gibt es permanente Veränderung und deshalb sind auch die Anforderungen an die Managementfähigkeiten höher als sie es früher waren. Wie lässt sich eine Kommunikation, die bestmöglich auf betriebswirtschaftliche Ziele einzahlt, vereinbaren mit Themen wie Purpose, Gender, Diversity? Bedingen sich beide Bereiche oder widersprechen sie sich? Ich glaube nicht, dass sie sich widersprechen. Es sind wichtige, gesellschaftliche Trends, die die Kommunikation in das Unternehmen tragen muss. Allerdings reicht es nicht aus, wenn unsere Branche immer nur um die „soften“ Themen wie Purpose, Gleichberechtigung oder Nachhaltigkeit kreist. Sie dürfen eben kein Selbstzweck werden. Am Ende muss es immer erst darum gehen, wie die Kommunikation ein Unternehmen – in einer gesellschaftlich verantwortlichen Weise – unterstützen kann, mehr Umsatz zu machen, profitabler zu sein und Arbeitsplätze zu sichern. Dieses wiederkehrende „Grounding“ im Sinne von betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten ist mir sehr wichtig. Auslandsstationen sind elementarer Bestandteil Deiner bisherigen Karriere. Vor Deiner jetzigen Station in der Schweiz hast Du für Mars in Chicago gearbeitet. Was hat Dich das Leben und Arbeiten im Ausland gelehrt? Eine ganze Menge. Wenn man über einen längeren Zeitraum in einer fremden Kultur lebt, dann reflektiert man ganz anders über seine eigenen Werte. Stichworte wie Demut, Neuanfang und Integration kommen da hoch, weil man merkt, wie anders die Kultur ist und man sich natürlich einfinden will. Professionell gesehen habe ich ebenfalls viel gelernt: zum Beispiel, dass die Amerikaner deutlich weniger konfliktfreudig sind, als man das gemeinhin glaubt. In der Unternehmenskultur und auch im gesellschaftlichen Leben ist eher eine Konfliktvermeidung zu sehen. “Influencing” spielt da eine weitaus wichtigere Rolle. So wird beispielsweise versucht, bereits vor großen Meetings alle Player abzuholen und so einen „Show-down“ zu vermeiden. Das ist für uns Deutsche schon recht ungewöhnlich, da wir in ein Meeting gehen und sagen: „So, das sind unsere Probleme – jetzt lasst uns mal gemeinsam eine Lösung finden.“ Das amerikanische Trial-and-Error Prinzip habe ich in meiner Zeit ebenfalls beobachtet. Man könnte auch sagen, dass man dort „incremental“ – also schrittweise – vorgeht, ohne gleich die perfekte Lösung zu haben. Die deutsche Gründlichkeit trifft dann auf die amerikanische „Just do it“–Philosophie. Kannst Du das im Ausland Gelernte in einem deutschsprachigen Unternehmen implementieren – oder sind die Systeme zu unterschiedliche? Das ist auf jeden Fall mein Ziel – es gelingt mir mal mehr und mal weniger. Ich glaube, dass jede Kultur einzigartige Vorteile hat. Voneinander lernen und das Beste aus der anderen Kultur mitzunehmen – das gebe ich auch meinen Kindern mit auf den Weg. Im beruflichen Kontext hilft mir das Gelernte auf jeden Fall, und das nicht nur im Umgang mit internationalen Kollegen, sondern auch in deutschen Settings. Etwa dabei, Konflikte schon vorher zu vermeiden oder sie abzuschwächen. Ich glaube schon, dass auch einige meiner amerikanischen Kollegen die deutsche Gründlichkeit und Prozessoptimierung in der Zusammenarbeit wertgeschätzt haben. Was bedeutet Karriere für Dich? Für mich ist Karriere ein Stück weit Selbstverwirklichung, weil es bedeutet, Dinge zu lernen und in der eigenen beruflichen und persönlichen Entwicklung weiterzukommen. Bei jeder möglichen neuen Stelle habe ich mich gefragt: Kann ich mich weiterentwickeln? Das Entwicklungsmotiv ist für mich definitiv das stärkste. Ich stelle mir aber auch die Frage, was ich einbringen kann, damit die Zusammenarbeit erfolgreich wird. Mir ist wichtig, Dinge positiv beeinflussen zu können und Spuren zu hinterlassen. Mitarbeiter, die von der Führungskraft lernen können oder auch Organisationen, die man ein Stück weit besser hinterlässt, als dass man sie vorgefunden hat. Muss man für beruflichen Erfolg Opfer bringen? Welche? Ich glaube schon, dass man Opfer bringen muss – jedenfalls war das bei mir so. Seit dem Abschluss meiner Schulzeit bin ich ganze 12 Mal umgezogen. Ich bereue das nicht, schließlich habe ich es mir ja so ausgesucht. Das Opfer aber war natürlich, dass ich immer wieder neu angefangen habe. Hinzu kommt die geografische Distanz zur Großfamilie – das ist schon ein Nachteil. Umso wichtiger ist der anhaltende Kontakt zur Familie. Aus welchem Misserfolg hast Du am meisten gelernt – und was? Einer der schmerzhaftesten Misserfolge begann damit, dass mir von meinen damaligen Chefs eine Aufgabe aufgetragen wurde, welche ich mir – ohne viel Nachdenken – direkt zu eigen gemacht habe. Es ging damals um die Größe und direkte Ausgestaltung meiner eigenen Abteilung. Ich habe mich als der “Neue” vor den Karren spannen lassen und habe das später damit bezahlt, dass das gelitten hat. Am Ende hat es dann auch länger gedauert mit dem Team an das gewünschte Ziel zu kommen. Meine Erkenntnis aus diesem Assignment war: Du musst Dir – gerade am Anfang eines Jobs – diese Zeit des “Ankommens” ausbedingen. Egal ob es um Personalfragen oder gravierende strategische Frage geht – nichts kann so dringend sein, um diese Phase auszulassen. Es ist wichtig, sich die erforderlichen Wochen oder Monate Zeit zu nehmen. Wenn dann alle Beteiligten gemeinsamer Meinung sind, dann schreitet man in eine bestimmte Richtung. Aber nicht vorher. Wo liegt für die Kommunikation in den nächsten drei Jahren die größte Herausforderung? Ist es der Umgang mit Corona oder etwas anderes? Ich weiß, ich stehe nicht allein mit meiner Überzeugung da, dass Corona ein Beschleuniger für Trends ist, die es schon gibt – zum Beispiel die Digitalisierung, die die Gesellschaft auch weiterhin tief verändern wird. Es kommen aber auch neue Herausforderungen dazu. Der Klimawandel zwingt die Wirtschaft zu großen Anpassungen. Die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft ist eine Entwicklung, die man nicht nur in Amerika in deutlicher Ausprägung beobachten kann. Diese sehr komplexe Gemengelage stellt große Herausforderungen an unsere Zunft. Nämlich nach innen und nach außen zu wirken – vielleicht sogar auch in der Reihenfolge. Wie willst Du als Führungskraft diese Herausforderung meistern? In Zeiten von Agilität und New Work: Braucht es heutzutage überhaupt noch Führungskräfte? Und was müssen die können? Ja, es braucht Führungskräfte. Zum einen, weil Führung Orientierung gibt. Sie hat die Aufgabe, Mitarbeitern aufzuzeigen, wie die eigene Funktion in das große Ganze passt und wie Mitarbeiter in ihrer Rolle zum Gesamtziel des Unternehmens beisteuern. Zum Zweiten ist das Vernetzen der Mitarbeiter durch die Führungskraft sehr wichtig – sei es abteilungs- oder sogar länderübergreifend. Hier können Leader durch ihr umfangreiches Netzwerk Hilfestellungen leisten. Coaching ist ebenfalls wichtig. Mitarbeiter, die den Willen und den Ehrgeiz haben, aber denen vielleicht noch Fähigkeiten fehlen, sollten von ihrer Führungskraft Unterstützung erhalten. Orientierung, Vernetzung und Coaching sind Qualitäten, die man von einer modernen Führungskraft erwarten muss. Bitte ergänzen: Wenn ich Widerstände erlebe, bin ich… Im besten Fall halte ich inne, nach dem Motto: “Der andere könnte Recht haben”, und schaue dann, wie man die beiden Seiten zusammenbringt. Das hat sicherlich etwas mit Lebenserfahrung zu tun, aber sicherlich auch mit der jeweiligen Tagesform. Manchmal gelingt es auch nicht, und dann hält man halt dagegen. Das ist aber nicht unbedingt immer von Erfolg gekrönt. Gleichzeitig glaube ich, dass Durchsetzungsfähigkeit und ein langer Atem – gerade für Kommunikatoren – wichtig sind. Man muss auch mal dicke Bretter bohren können. Du bist mehrfacher Familienvater. Worin unterscheiden sich Führung und Erziehung? In dem Monat, in dem ich Vater wurde, wurde ich auch zum ersten Mal Chef – das war ein ganz witziges Timing. Somit hatte ich plötzlich gleich doppelt das Gefühl, auf einmal nicht mehr nur für mich selbst verantwortlich zu sein. Es gibt sicherlich Parallelen, aber grundsätzlich unterscheiden sich die beiden Felder doch stark in der Vorgehensweise. Dabei ist die Aufgabe in beiden Bereichen sicherlich nicht, immer der Beliebteste zu sein und jeden Wunsch zu erfüllen. Andererseits sollte man sich auch klarmachen, dass man nur Leader und Führungskraft ist, wenn einem jemand folgt. Worauf suchst Du immer noch eine Antwort? Mit bald Mitte 40 hat man hoffentlich noch ein bisschen Zeit, Antworten auf die großen Fragen zu finden. Natürlich stellt man sich ab und an auch mal eine philosophische Frage, zum Beispiel was kommt nach dem Tod oder wie kann ich meine Kinder bestmöglich auf das Erwachsenenleben vorbereiten? Wir haben vorhin kurz über die großen globalen Trends gesprochen: Klimawandel, Digitalisierung, Polarisierung, Entglobalisierung. Wie das alles weitergeht? Darauf hat niemand Antworten, aber es interessiert mich brennend. Ganz pragmatisch frage ich mich auch immer noch: Wie kann ich mehr Zeit für mich haben? Das ist auch so eine Never–Ending–Story.